Erinnerungsort Zwangsarbeiterinnenlager | Neuaubing | Wettbewerb | Anerkennung

Erinnerungsort Zwangsarbeiterinnenlager | Neuaubing | Wettbewerb | Anerkennung

Erinnern, heilen und begegnen – ein Konzept mit drei Grundsätzen

Erinnerung, Heilung und Begegnungen – diese drei Säule stützen das Entwurfskonzept für den Erinnerungsort Neuaubing. Als Ort des Gedenkens wird durch behutsame Eingriffe die Geschichte der Vergangenheit und die damit verbundenen Gräuel des NS-Regimes in der Gegenwart platziert und kontextualisiert – als Brücke zwischen damals und heute. Dabei soll aktiv hinterfragt und angeregt werden, um unser heutiges Zusammenleben und die Demokratie in den Fokus zu rücken, um die Vergangenheit nie mehr zu wiederholen sowie die Geschichten der Opfer und Helden zu erzählen.

Gleichzeitig schafft es die Natur einen Heilungsprozess innerhalb der Gedenkstätte in Gang zu setzen: dabei wird das Vergangene nicht überdeckt und ausradiert, sondern die aktive Integration der Natur entwirft stattdessen neue Zukunftsvisionen und lässt Besucher bewusst auf Spurensuche gehen. Dadurch entsteht nicht nur ein Ort zum Erinnern, sondern ein Lebensraum für Pflanzen und Tiere – eine Umgebung, die nicht nur die Vergangenheit hinterfragt, sondern im Kontext der Nachhaltigkeit auch die Zukunft einbezieht. Das macht die Gedenkstätte zu einem Ort, der Engagement für das Vergangene und das Zukünftige bietet.

Zudem ist der Erinnerungsort ein Zeichen der ständigen Begegnung und Kommunikation: für AnwohnerInnen, BesucherInnen, KünstlerInnen und Kinder tritt dieser als lebendiges Museum hervor. Die Aktivität und das Umdenken der Menschen ermöglichen es, diesen Raum mit Demut, Reflexion und dem Bewusstsein für die Vergangenheit, Gegenwart sowie die Zukunft zu füllen.

Die vorgeschlagenen Zeitschichten machen zugleich Vergangenheit und Gegenwart erfahrbar: während die Layer der Vergangenheit sich aus dem ursprünglichen Zustand zur NS-Zeit, der anschließenden Rückeroberung der Natur und der funktionalen Umnutzung seit dem Ende des Kriegs zusammensetzt, bestehen die Layer der Gegenwart aus den Sanierungsarbeiten im Kontext des Denkmalschutzes, der den naturnah gestalteten Freiflächen und der Ausstellung als Erinnerungspfad für die Spurensuche.

Gestaltung der Freianlagen – Die Natur als natürlicher Heilungsprozess

Die Neugestaltung der Außenanlagen zielt darauf ab, den durch Sukzession entstandenen Naturraum zu erhalten und zu schützen. Dieser gilt nicht nur als wichtiger Lebensraum für die lokale Fauna, sondern steht gleichzeitig für die Rückeroberung der Natur an einem Unort. Die Natur nimmt den Raum in Folge des Heilungsprozesses vor Ort ein und verwandelt den negativ konnotierten Raum zu etwas Positivem.

Die bestehende Wegeverbindung zwischen Neuaubing und Freiham macht Passanten subtil auf die Gedenkstätte aufmerksam: im Boden eingelassene Stahlplatten bauen dabei auf das Konzept Schau hin – Hör zu – Mach mit, wodurch sich die Ausstellung äußerst behutsam für Passanten bemerkbar macht und als Layer der Gegenwart wahrgenommen werden kann. Die vor der Baracke 2 platzierte Infostation dient als Auftakt für die Ausstellung und dient als Ausgangspunkt für das neu integrierte Wegenetz. Zudem werden an dieser Achse der Hauptpavillon des Erinnerungsortes, die bestehende Kinder- und Jugendfarm sowie ein Café mit zwei Außenterrassen angebunden.

Der einstige Exerzierplatz inmitten des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers hat sich über die Jahrzehnte hinweg zu einem eigenständigen Biotop herausgebildet, wodurch der Transformationsprozess vor Ort deutlich wird. Ein leicht erhöhtes Stegsystem, das auf den Wegen von 1946 basiert und somit auf den Layer der Vergangenheit hinweist, macht die neu geschaffen Begegnungslandschaft punktuell erlebbar und greift die Interaktion zwischen der Natur und der Geschichte auf. Der Erinnerungspfad führt durch die gesamte Anlage und verknüpft die Baracken, die einzelnen Stationen sowie die Einmannbunker im Außenraum miteinander.

 

Umgang mit Bestand – Behutsame Sanierung

Im Fokus steht die behutsame Sanierung der Baracken, welche in ihrem aktuellen Zustand belassen und von nachträglichen Anbauten befreit werden. Von außen werden die Fassaden inklusive der Fenster und Türen in den ursprünglichen Zustand rückgebaut. Für die neue Nutzung werden lediglich wenige notwendige Öffnungen hinzugefügt. Auch im Inneren liegt der Fokus auf den Ursprung der Baracken: es werden Wände auf den bauzeitlichen Zustand zurückgeführt und die neuzeitlichen Böden werden durch Holzdielen ersetzt, wobei fehlende Spuren des historischen Grundrisses mit Nägeln im Holzboden ergänzt werden.

Wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist die Begrünung der Baracken: Kletterpflanzen wachsen entlang der Fassaden und machen den Heilungsprozess durch die Natur deutlich. Über die Jahre sollen die zum Innenhof orientierten Fassaden überwuchern. Um den entsprechenden Denkmalschutz zu gewährleisten, werden Stahlgitterstrukturen als Rankhülle um die Baracken angebracht. Die dadurch entstehenden Laubengänge machen die Baracken partiell erlebbar und betonen die Integration der Natur innerhalb des Entwurfs. Einzig Baracke 5 ist von der Berankung ausgenommen, da diese als Exponat Teil der Ausstellung ist. In Reminiszenz an die Baracken 9 und 10 werden Pavillons als offene Stahlkonstruktionen mit flexibler Nutzungsmöglichkeit nachgezeichnet. Diese Neubauten aus Stahl und Holz dienen als Interaktionsfläche und Kunstpavillon und umrahmen das Biotop im Kontext der Begegnungslandschaft.

„Schau hin – Hör zu – Mach mit“

Der Erinnerungsort Neuaubing ist nicht nur eine Gedenkstätte eines Zwangsarbeiterlagers, sondern ein Ort, der viele Geschichten erzählt. Die Geschichten handeln von jenen, deren Leben sich gegen ihren Willen dramatisch verändert hat, die von ihren Familien und ihrem Zuhause getrennt wurden, von Zwang und Leid, aber auch von der Aneignung eines Ortes und einer neuen Deutungsgebung. Der Erinnerungsort Neuaubing veranschaulicht, berichtet und macht deutlich – subtil, eindrücklich und würdevoll – sodass jeder vor Ort die Möglichkeit hat hinzusehen, hinzuhören und mitzumachen. Damit sich die Vergangenheit nie mehr wiederholt und dennoch unvergessen bleibt.